Schneeschuhwandern in der hohen Tatra

Warum eigentlich immer die Alpen?

Es ist schon auffällig wie präsent der ehemalige Eiserne Vorhang im Reiseverhalten des durchschnittlichen Mitteleuropäers noch immer ist. Das habe ich noch nie verstanden. Seitdem ich in Wien lebe fühle ich mich zu den östlichen Nachbarstaaten Österreichs hingezogen. Dies hat, denke ich, mehrere Gründe. In meinem Heimatort war eher die räumliche Nähe zu Frankreich, Italien oder der Schweiz gegeben. Bei Besuchen meiner Großeltern an der Ostsee war Skandinavien nicht weit. Einzig 1995 bin ich mit meinen Eltern einmal einen Tag in Eger (Tschechien) gewesen. Daher ist der Osten für mich die große Unbekannte gewesen. Auch der Lebensalltag und das Erscheinungsbild der Städte, geprägt durch Jahrzehnte des Kommunismus, sind hier gefühlt immer noch ganz anders. Auch wenn die internationalen Trends und das Internet die Unterschiede verschwimmen lassen, manchmal reicht es schon einen alten Lada zu sehen oder eine slawische Sprache zu hören, um den Hauch Ostalgie zu spüren.
Ein weiterer Reiz ist das Zurücklassen der heimischen Touristenströme. Auch wenn wir bald merken sollten, dass für Slowaken und Polen die Tatra, als einzig verfügbares Hochgebirge in der Region, natürlich Dreh- und Angelpunkt des dortigen Wintertourismus ist.
Und zu guter Letzt – ich will diesen Anreiz gar nicht leugnen – hat das Reisen in Richtung Osten meist den Vorteil günstiger zu sein als in der Heimat.

Die Anreise

Einmal täglich verkehrt zwischen Wien und Košice ein IC, der für die Strecke von knapp 500 km sechs Stunden benötigt. Zwei Stationen zuvor ist man in Poprad, dem slowakischen Hauptort der Region am südlichen Fuße der Hohen Tatra. Nördlich des Gebirgsstocks befindet sich Zakopane, welches der Hauptort des polnischen Teils der Region ist.
Aufgrund der günstigeren öffentlichen Anbindung entschieden wir uns für die slowakische Seite. Die Fahrzeit nach Poprad betrug noch knapp fünf Stunden und war recht kurzweilig und ohne Zwischenfälle. Da es bei der Ankunft bereits dunkel war haben wir nur noch eine kurze Runde durch die Stadt gedreht und unsere, dicht am Bahnhof gelegene, Unterkunft bezogen. Am nächsten Tag nahmen wir den Regionalzug nach Starý Smokovec, dem besten Ausgangspunkt für eine Tour in die Berge. Und das merkten wir auch sofort. Bereits der Zug dorthin war vollkommen überfüllt, genauso wie der Ort selbst. Ich war mal wieder naiv gewesen. In der Hoffnung die überlaufenen Alpen gegen die unberührte und wilde Tatra zu tauschen und etwas Erholung von den Menschenmassen der Großstadt zu erlangen fanden wir uns nun im Gänsemarsch den Berg hinauf wieder. Auch das Passieren der Bergstation der Zahnradbahn tat dem Menschenstrom keinen Abbruch. Und so ergaben wir uns unserem Schicksal und reihten uns ein in Richtung Zamkovského chata, der Berghütte bei der wir zwei Übernachtungen gebucht hatten.

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Foto 2 – Der Blick vom Eingang unserer Hütte

Bei der Planung der Tour habe ich mir gedacht, dass das eine tolle Gelegenheit wäre etwas Übung im Umgang mit Schneeschuhen zu bekommen. Einen Monat später stand der Winterteil der Ausbildung zum Bergwanderführer an. Die gute Idee erwies sich in der Praxis als überflüssig bis hinderlich, da der Weg bereits so ausgetreten war, dass die großen Schneeschuhe eher ein Klotz am Bein waren. Die anderen Leute waren eher mit leichten Sportschuhen oder maximal mit Spikes oder Grödel unterwegs. Es bewahrheitete sich offenbar das Vorurteil, dass Osteuropäer nicht zimperlich sind und auch in Sachen Sicherheit etwas lässiger unterwegs sind. Als wir vorbeikommenden Wanderern erklärten, dass wir unsere LVS-Ausrüstung testen, ob alles in Ordnung ist, bekamen wir ein gemütliches „don’t worry, it will work fine“ entgegnet.

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Foto 3 – Check der LVS-Ausrüstung

Bei der Hütte angekommen waren wir mehr als entzückt. Eine wahnsinnig urige Hütte, superschön am Waldrand gelegen. Derzeit allerdings noch so überfüllt, dass man kaum zur Türe herein kam. Das Matratzenlager unter dem Dach war allerdings nur von uns und einem einzelnen Wanderer belegt. Dieser lud uns sogleich dazu ein mit ihm eine Flasche des typisch slowakischen Borovička zu leeren. Das taten wir gerne. So gestärkt wankten wir wieder nach unten in den Speisesaal, hier war nach Abreise der Tagesgäste Ruhe eingekehrt und es wurde ein sehr gemütlicher Abend.

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Foto 4 – „Unsere“ Hütte

Eine knackige Tagestour bei Kaiserwetter

Am nächsten morgen bemerkten wir, dass es in der Nacht ordentlich geschneit hatte und die Schneedecke auch hier auf halber Höhe bereits mehr als einen Meter betrug. Die Wolken hatten sich glücklicherweise bereits verzogen und so starteten wir hochmotiviert bei strahlendem Sonnenschein in Richtung Malá Studená dolina (zu deutsch Kleines Kaltes Tal).

Abbildung 1 – Unsere Tourdaten, der schwarze Punkt in der Mitte des Tracks ist unsere Hütte zum Übernachten – Quelle: www. alltrails.com

Endlich waren die Schneeschuhe bei der frischen, unberührten Schneedecke von Vorteil. Einige Leute ohne Ski oder Schneeschuhe kamen uns bereits entgegen, da ihnen der Schnee mit normalen Schuhen zu tief war. Man merkte auch, dass generell deutlich weniger Menschen so weit in die Berge hinein gehen. Uns nun waren die Leute auch tendenziell alle gut ausgerüstet. Am Ende des Tals, beim Aufstieg in Richtung Hauptkamm lernten wir jedoch unsere nächste wichtige Lektion. Für Ebenen und leichte Steigungen sind Schneeschuhe super, für steile Anstiege jenseits der 20° sind sie eine Quälerei. Uns so mühten wir uns den etwa 30-40° steilen Berghang hinauf. Mal Folgten wir den viel zu kleinen Schuhtritten der Vorgänger (Profis nehmen Wanderschuhe mit Steigeisen oder gleich lieber Ski) dann kreutzten wir wieder, um etwas flacher gehen zu können.

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Foto 5 – Ab jetzt gehen wir steil

Bei beidem kamen wir uns gleichmaßen dämlich vor, dennoch erreichten wir relativ zügig die Téryho chata. Hier kehrten wir ein und beschlossen, dass wir uns für heute genug gequält haben. Mit Sicherheit die beste Entscheidung, zumal aus dem Tal mittlerweile dicker Nebel aufzog.

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Foto 6 – Der Blick von oben ins Kleine Kalte Tal

Der Abstieg war dafür sehr flott und spaßig, da wir versuchten unsere Schneeschuhe und unsere Hintern als Rutschfläche zu missbrauchen.
Ziemlich erledigt und ausgehungert fielen wir in der Zamkovského chata ein. Hier verabschiedeten sich bereits allmählich wieder die Tagesgäste. Doch inzwischen waren die Zimmer und das Matratzenlager recht gut ausgelastet und so lernten wir einige weitere nette Leute kennen.

Auf bald

Am nächsten Tag mussten wir leider schon wieder unsere Sachen packen. Gemeinsam mit zwei Bettnachbarn machten wir uns auf den Weg ins Tal. Am Berg war wieder Sonnenschein pur. Im Tal konnten wir hingegen bereits wieder Nebel aufziehen sehen.

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Foto 7 – Blick nach Süden in Richtung Niedere Tatra

Wenn man nicht im Nebel drin steckt ist das eine schöne Sache. Wir mussten trotzdem genau dorthin. Wir übernachteten noch einmal in Poprad, diesmal in einer Pension die, zwischen einer Autowerkstatt und einer Fabrikhalle gelegen, einen eher spröden Charme versprühte. Aber für die Nacht war es recht und am nächsten Morgen konnten wir uns wieder gemütlich in den IC nach Wien setzen. Eines weiß ich sicher, ich möchte wiederkommen. Vielleicht im Sommer und auch unbedingt von der polnischen Seite. Das Tal der fünf Seen soll wahnsinnig schön sein. Oder endlich mal nach Košice und weiter bis in die Ukraine… 

Viel Spaß mit dem Winter

Flo

[Titelbild] – Blick auf den Hauptkamm der Hohen Tatra im Kleinen Kalten Tal – Quelle: Stender 2018

 

Veröffentlicht von erwandert

Kartograph - Wanderführer - Bergliebhaber

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